Die Parochie Mahlis


Stich von Mahlis 1830
Stich von Mahlis 1830
Diese Überschrift trägt ebenfalls der sehr umfassende und übersichtliche Artikel in der Neuen sächsischen Kirchengalerie” für die Ephorie Oschatz. Im heutigen Sprachgebrauch würden wir vorschnell von Kirchgemeinde reden. Doch die Bezeichnung Pfarrbereich” wäre zutreffender, wodurch deutlicher wird, dass sich ein Pfarrer und Kirche überhaupt allen in diesem Gebiet Wohnenden verpflichtet weiβ!

Herausgegeben wurde dieses hervorragende Nachschlagewerk für ganz Sachsen übrigens um 1900 als überarbeitete Fassung der nach ca. 50 Jahren überholten Sächsischen Kirchengalerie”. Sie ist bis heute ein griffiges Standardnachschlagewerk geblieben. Dies zeigt sich unter anderem darin, dass sehr oft aus dieser Quelle geschöpft oder zitiert wird, ohne jedoch die Fundstelle der Daten zu verraten.

Älteste Photographie vom Pfarrhaus, leider ohne Jahresangabe, ebensowenig konnte bisher die Pfarrfamilie identifiziert werden
Älteste Photographie vom Pfarrhaus, leider ohne Jahresangabe, ebensowenig konnte bisher die Pfarrfamilie identifiziert werden

Herausgegeben wurde dieses hervorragende Nachschlagewerk für ganz Sachsen übrigens um 1900 als überarbeitete Fassung der nach ca. 50 Jahren überholten Sächsischen Kirchengalerie”. Sie ist bis heute ein griffiges Standardnachschlagewerk geblieben. Dies zeigt sich unter anderem darin, dass sehr oft aus dieser Quelle geschöpft oder zitiert wird, ohne jedoch die Fundstelle der Daten zu verraten.

 

Natürlich entspricht die – jeweils noch von persönlicher Handschrift der entsprechenden Pfarrer geprägte – Darstellungsart der historistischen Sicht um die Jahrhundertwende. Einerseits sind die mit groβem Fleiβ besonders über Besitzverhältnisse zusammengetragenen Fakten weitgehend zuverlässig: Vermerkt werden also für alle Orte die Entstehungsgeschichten mit vielen Kuriositäten und Denkwürdigkeiten, dazu mit besonderem Augenmerk die Errichtung der Kirchen samt künstlerischer Ausstattung von Altären bis zu den Orgeln und Sakramentsgefäβen, auβerdem die Pfarrhaus- und Schulbauten.

 

Andererseits bleiben manche inhaltliche Fragen, die uns heute auβerdem interessieren, unberücksichtigt. Ich denke da an

  • verschiedene, auch vom Glaubensleben geprägte, Gebräuche wie das Feiern der groβen christlichen Feste eingeschlossen die beliebtesten Lieder
  • seelisch zu verkraftende und ins Gebet genommene Lebensverhältnisse,
  • worüber und wie wurde gepredigt (z. B. liegt die letzte Predigt von Pfarrer Vogel, gehalten am 28. 11. 1937) vor,
  • was trug innerlich zum Glück oder zur Zufriedenheit der Menschen bei,
  • wo wurden Veränderungen erfleht und was wurde hingenommen, ausgehalten,
  • wie erhielten die Mahliser konkret Trost und wann wurde Versöhnung angemahnt
  • oder worunter stöhnten und litten die verschiedenen Generationen.

Nicht zu vergessen die völlig anders ablaufenden Beerdigungszeremonien. Um diese sicher auch relevante Frage aufzuspüren, müssten eventuell viele Zeugnisse neu gesichtet
werden. Unter Umständen sind intensivere Studien erforderlich, um auch mit umfassender Sachkenntnis des gesamten Umfeldes zwischen den verschiedensten Nachrichten vorsichtige Interpretationen zu wagen. Es liegt trotz eines enormen Aktenmaterials im Pfarrarchiv keine vollständige und lückenlose, locker alle unsere Fragen beantwortende alte Chronik vor (siehe jedoch weiter unten). Eine wertvolle und im Prinzip unverzichtbare Ergänzung würden die persönlichen Erinnerungen an alle Erlebnisse, die oft unter Tränen weitererzählt werden, bilden. Doch das Wagnis der Niederschrift gingen leider bisher Wenige ein… Die fehlende Weitergabe so intensiver Erfahrungen wäre mindestens bedauerlich.

 

Denn jede Generation stellt neue Fragen gemäβ oder auf der Suche nach ihrem Selbstverständnis. So gestehe ich gleich an dieser Stelle, dass ich diesen enormen Arbeitsaufwand leider momentan ebensowenig und im Blick auf drängendere aktuelle Probleme schon gar nicht umfassend bewältigen kann, so sehr ich es mir nicht nur im eigenen Interesse wünschte. Doch bleibt die hoffentlich nicht vergebliche Erwartung an künftige Interessierte und sachlich kompetente Mahliser, die sich in diese Kette uneigennützig einreihen.


Die herausragende Lage der Kirche als Hinweis auf unsere Heimat ist bis um die Jahrhundertwende unübersehbar
Die herausragende Lage der Kirche als Hinweis auf unsere Heimat ist bis um die Jahrhundertwende unübersehbar

1. Eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Daten aus der Kirchengalerie:

 

Seit Mahlis in unserem Blickfeld ist, dürfen wir davon ausgehen, dass die Christianisierung (ein Beschluss der Synode von Ravenna im Jahre 967 sorgte für die Gründung des Bistums Meiβen 968, von dort aus erfolgte in den folgenden Jahren je nach politischen Verhältnissen mehr oder weniger intensiv die Verbreitung des neuen Glaubens) weitgehend erfolgt war und neu identitätsstiftend wirkte!

1348 wird ein vom Markgrafen verliehenes Patronatsrecht, also eine Verpflichtung zur Kirchenverantwortlichkeit, für Mahlis erwähnt, demnach muss bereits eine Pfarrkirche vorhanden gewesen sein.

Ab 1460 lag das Patronatsrecht bei den Mahliser Rittergutsbesitzern, der erste hieβ Christoph von Heynitz.

Bemerkenswert ebenso, dass 1529 Mahlis wie Liptitz nebst Gröppendorf und Wadewitz zur Superintendentur Grimma geschlagen wurden, in diesem Zusammenhang kam bewusst noch Glossen und Poppitz dazu. Der Grund lag im Auftrag der Visitatoren an den hiesigen Pfarrer Thomas Reiche, ein wohlgelehrter und seines Lebenswandels sehr belobter Mann … des Sonn- und Feiertags früh das Evangelium nach Anleitung der Postille Dr. Luthers, nachmittags sowie Donnerstags, wenn Ernte- und Saatzeit nicht hinderlich sei, den Katechismus mit Fleiβ zu predigen”. Demnach wurde in Mahlis bereits zehn Jahre vor der Einführung der Reformation im ganzen albertinischen Sachsen – einen Tag nach dem Tode Herzog Georgs des Bärtigen am 17. April 1539 evangelischer Gottesdienst gefeiert.

 

Die jetzige Kirche ist der Nachfolgebau einer 1625 errichteten, nicht mehr ausreichenden Kirche und wurde 1777 begonnen, eingeweiht bereits am 11. Januar 1778. Der Turm datiert jedoch erst aus dem Jahre 1827/28, nachdem ein Blitzschlag den ursprünglichen stark beschädigte und er bis auf die Grundmauern abgetragen werden musste. Im Inneren befanden sich zwei Emporen und die Logen der Rittergutsbesitzer, von auβen mit einem extra Eingang versehen. 1896 fand eine vollständige Innenerneuerung statt, eine Empore wurde beseitigt, auβerdem die Orgel eingefügt, die aus der alten reformierten Kirche in Dresden stammt,nach vollkommener Reparatur und unter Tragung aller Versandt- und Arbeitskosten ” vom Landeskonsistorium der Gemeinde geschenkt. Das Pfarrhaus in seinem derzeitigen Aussehen ist seit der Errichtung 1724 auβer der Gliederung der Fenster fast unverändert. Der deutlich sichtbare Erweiterungsbau stammt aus dem Jahr 1867.

Das Innere der Kirche vor der groβen Umgestaltung 1896
Das Innere der Kirche vor der groβen Umgestaltung 1896

   Die Königin der Instrumente führt zur Besinnung, begleitet Freude und Trauer
Die Königin der Instrumente führt zur Besinnung, begleitet Freude und Trauer

2. Die Kirche im Sog der politischen Verhältnisse bis zur Mitte unseres Jahrhunderts

 

Nun seien wichtige Ereignisse unseres Jahrhunderts aufgegriffen und mittels der Etappen von hier wirkenden Pfarrer dargestellt. Vieles muβ bei der Fülle der Begebenheiten und Veränderungen übergangen werden. Eine wichtige Stütze ist mir die dabei die Chronika ecclesiae Malensis”. Diese

Chronik der Mahliser Kirche” wurde am 16. Februar 1945 vom Ortspfarrer Heinz Glien begonnen ...unter anderen Vorraussetzungen als von mir beabsichtigt war. In Ermangelung eines Chronikbuches wollte ich alle geschichtlichen Begebenheiten des Kirchspieles zu Mahlis, die da in den Orten Mahlis, Wadewitz, Gröppendorf und Glossen im Laufe der Zeit geschehen sind, aufzeichnen und eingangs die hie und da sich verstreut findenden Notizen zusammentragen, um ein geschlossenes Ganzes zu erhalten. Zu dieser Arbeit benötigt man natürlich Zeit und ich hätte erst am Schluss die Begebenheiten unserer heutigen Tage hier festhalten können. Doch die Zeit fehlt, wir befinden uns im 6. Kriegsjahr und der Feind drängt von Ruβland nach Westen, schon ist er über Breslau, Liegnitz nach Lunzenau vorgedrungen und es muβ damit gerechnet werden, daβ er bei weiterem Vordringen auch in Sachsen einbricht. Um eine Verwüstung und Vernichtung des Kirchengutes, wie Kirchenbücher, Altargeräte, Altarbekleidung u.s.w. zu vermeiden, habe ich ein Gruft des Friedhofes in Aussicht genommen, die Sachen darin zu verbergen. Auβerdem habe ich bereits im Obstgarten eine tiefe Grube ausgehoben, in der ebenfalls Dinge in Kisten und Laden, so dieses Buch mit den letzten Aufzeichnungen, vergraben werden sollen.

Von diesen Ereignissen bedrängt, beginne ich dieses Buch und führe zuerst an, was ich im Laufe des letzten Jahres mir notiert habe, um dann noch ausführlicher auf die jetzigen Ereignisse einzugehen und schlieβlich das, was ich mir zuerst einzutragen vorgenommen habe, die Notizen früherer Jahre, nachzutragen. Gott aber will ich bitten, daβ er uns dazu Zeit und Gelegenheit gebe und somit das ganze deutsche Vaterland und insbesondere seine Gemeinde in Seinen allmächtigen Schutz nehmen möchte. Das walte Gott!”

 

Sicherheitshalber wurde dieses Werk am 26. Februar noch mit einem Sperrvermerk versehen. Den unberührten, von auβen alles erfassenden Chronisten hat es also nie gegeben und kann es auch gar nicht geben, wenn es sich um eine wirklich dem Menschen gerecht werdende geschichtliche Darstellung handeln soll.

Bereits diese erste (deshalb einmal weitgehend vollständig wiedergegebene) Seite ist in vieler Hinsicht bemerkenswert, gibt einen Einblick in die Dramatik des Erlebten, fordert zur Diskussion heraus und unterstreicht eingangs Aufgeführtes. Inhaltlich von den von ihm verfassten weiteren 36 Seiten unten mehr, ebenso von den darauf folgenden Pfarrern Niedergeschriebenes.

 

Welchen Weg legte die Kirchgemeinde bis dahin zurück?

Um die Jahrhundertwende wirkte in Mahlis als 24. Pfarrer seit der Reformation Friedrich Wilhelm Karl Kranichfeld, dem die Mahliser die 1896 als überaus segensreich empfundene Gründung der Kinderbewahranstalt” unter Leitung einer Dresdner Diakonisse verdankten, die zugleich Krankenpflege ausübte. Etwas später wurde die sechsklassige Volksschule errichtet. Allein der derzeitige leerstehende Zustand weist unübersehbar auf die Veränderungen seit den rund 100 Jahren.


   Die Kirche Mahlis nach der Umgestaltung, bis auf wenige Veränderungen der jetzige Zustand
Die Kirche Mahlis nach der Umgestaltung, bis auf wenige Veränderungen der jetzige Zustand

Von 1905 bis 1920 wirkte Pfarrer Christian Adolf Kreher hier. Er erlebte das Drama des 1. Weltkrieges und damit auch den Abtransport von Glocken für die Rüstungsindustrie. Allein die Geschichte der Glocken zu verfolgen, die normalerweise zum Frieden rufen – vor Gefahr warnen zur Anteilnahme und Gemeinschaft auffordern – sowie täglich an Gott als Lebensquelle erinnern, wäre eine spezielle Studie wert. Nach dem Krieg wurde mittels eines Vereins für die Errichtung eines Ehrenmales gesammelt. Immerhin kamen aus Mahlis 55 junge Männer um. Unter Beteiligung aller repräsentativen Gröβen des Dorfes wurde es pompös und redegewaltig eingeweiht. Die Einsicht in die Akte lässt deutlich einen anderen Zeitgeist ahnen, der sich bereits in der Überschrift FÜR UNS! Unseren gefallenen Helden in Dankbarkeit gewidmet” niederschlägt. Nur ein Jahr wirkte Pfarrer Ottokar Horn in Mahlis, anschlieβend von 1921 bis zu seiner Emeritierung 1926 Pfarrer Max Allwill Bühring.

 

Ihn löste Pfarrer Gustav Theodor Löwe ab und anschlieβend wirkte ab 1929 Karl Wilhelm Otto Vogel hier. An diese Namen existieren bei älteren noch Erinnerungen im Zusammenhang mit Taufen, Hochzeiten und ähnlichen wichtigen Feiern. Teilweise sind auch schon Bilder vorhanden, die sorgfältig zu hüten sind! Waren dies weitestgehend ältere Pfarrer, oft bis zur Pensionierung hier tätig, begann Pfarrer Glien seine Tätigkeit 1938 als junger Mann, deswegen auch bereits im Mai 1939 als 26jähriger zum Militär (schwere Artillerie-Ersatzabteilung) nach Grimma einberufen. Während er als einfacher Soldat verschiedene Feldzüge durch halb Europa bis zu seiner Verwundung 1943 mitmachte, wurde die Gemeinde von Wermsdorf aus versorgt. Er eröffnete, ab 1943 wieder in Mahlis und in anderen Orten, fehlende Pfarrer vertretend, quasi und ganz unvorhergesehen eine neue Ära: Seitdem wurde die Kirchgemeinde immer jungen Pfarrern anvertraut bzw. es bewarben sich keine gestandenen” Pfarrherren in diesen Ort. Auch damit deutet sich ein veränderter Stellenwert der hiesigen Kirchgemeinde an, der jedoch innerlich andere Qualitäten bereithält.

 

Unter dem 17. Mai 1945 schrieb Pfarrer Glien nach vorausgegangener Schilderung des nicht immer rühmlichen Auftretens vieler russischer Soldaten bei Kriegsende in seiner Chronik: Auch der Religionsunterricht wird wieder, bei freiwilliger Teilnahme, eingeführt in die Schule.

 

Es stellt sich also immer mehr heraus durch Maβnahmen und Verhalten der Russen, dass die nationalsozialistische Regierung uns ganz schändlich belogen und betrogen hat. Mir wird immer deutlicher, der Zusammenbruch Deutschlands musste also kommen, denn: Irret euch nicht, Gott lässt sich nicht spotten, was der Mensch sät, das wird er ernten”. Was als Normalisierung des Lebens galt, war eine unter groβen Entbehrungen und unter Hunger versuchte Rückkehr zu bekannten Lebensformen im persönlichen und gemeindlichen Bereich. Die Suche nach Angehörigen, die sehr unterschiedlich geartete Aufnahme der Vertriebenen (denen jedoch nach allen Verlusten wenigstens die Kirche als etwas Unverlierbares blieb – von ihnen wurden spürbare geistliche Akzente gesetzt) und die Rückkehr von durch Entbehrungen gezeichneter Kriegsgefangenen stellten jeweils nicht ganz leichte Aufgaben dar. So wurde dem Pfarrer eine extra Bescheinigung ausgestellt, dass sein Fahrrad für die Betreuung der Gemeindeglieder erforderlich sei und nicht entwendet werden darf. Aber das Papier nützte nichts! Dazu brachten manche Denunziationen in der Hoffnung irgendwelcher Vorteile Konflikte in die schon schwierige und von vielen Papieren gefüllte Situation (Ablieferungspflichten in der Landwirtschaft, Lebensmittelmarken usw). Ende 1948 ging Pfarrer Glien nach Nerchau Meine letzte Freude in Mahlis war, daβ ich mit meiner Abschiedspredigt auch die Kirche wieder einweihen konnte, die vollkommen renoviert worden war und mit 1.500,- DM kurz vor der Währungsunion fertiggestellt werden konnte”.


3. Der Weg der Kirche in die Minderheitensituation: zweite Hälfte unseres Jahrhunderts

 

 

Die Nachfolge trat Pfarrer Gottfried Grätzel an. Unter seiner Leitung begann eine inzwischen nicht mehr wegzudenkende Tradition: Zu Weihnachten 1949 führen die Konfirmanden erstmalig ein schlichtes aber sehr wirkungsvolles Krippenspiel auf, von dem die Krippenspielbesucher sehr stark beeindruckt sind (Einnahme 230,- DM)”. Selbst die Kollekte veränderte sich nicht wesentlich! Ab 1950 bürgerte sich … fest die Feier der Goldenen und diamantenen Konfirmation ein”, was sich ebenfalls bis heute, unter groβer Unterstützung durch Frau Erna Schneider fortsetzt. Wie lange bleibt offen, denn die Konfirmandenjahrgänge werden absehbar kleiner! Auβerdem wurden Kirchgemeindeausflüge gestartet mit bis zu 150 Teilnehmern.

 

Die Situation der christlichen Gemeinde veränderte sich zunehmend, denn Kirche wurde bewusst und massiv aus der Offentlichkeit verdrängt, u. a. durch Versammlungsverbote in gesellschaftlichen Räumen! Pfarrer Grätzel und der Bahnhofswirt Herr Lindner wurden so vom Ortspolizisten 1953 angezeigt und auf die Kreispolizei bestellt, weil manche Chorproben noch in der Gaststätte abgehalten wurden. Die Kirchenmusik und der Chor (zunächst unter Leitung des verehrten und bis heute nachwirkenden Kantor Moβdorf und nach seinem Tod am 27.1.1960 durch Herrn Rudolf Naumann) sind in der Qualität und Wirkung für das Dorf Mahlis gar nicht zu überschätzen.

 

Der Dresdner Kreuzchor in Mahlis
Der Dresdner Kreuzchor in Mahlis

In dem Zusammenhang muss erwähnt werden: “Ein einmaliges unvergeβliches Erlebnis ist das Konzert des Dresdner Kreuzchores am 20. September 1959 in der Mahliser Kirche”. Die Leitung hatte Prof. Dr. Mauersberger selbst, dem es in Mahlis nicht nur wegen der guten Bewirtung durch Gemeindeglieder sehr gut gefiel. Die bereits ein Vierteljahr vor dem Konzert ausverkaufte Kirche – 370 numerierte und 50 unnummerierte Plätze – sah Pfarrer Grätzel so: Das allein war ein k.o.Schlag für unsere Gegner, deren es auch in unserer Kirchgemeinde eine Handvoll gibt”. Ganz anders als die Aufstellung des Denkmales für die im 1. Weltkrieg Gefallenen erwarb sich Pfarrer Grätzel bei der Anbringung der Holztafeln im Inneren der Kirche (insgesamt 69 Gefallene und Vermisste) bei offiziellen Stellen alles andere als Sympathien. Doch für die betroffenen Mahliser stellen diese Tafeln bis jetzt eine nicht zu ersetzende Stelle der Nachdenklichkeit dar. Durch massivste Benachteiligung auf dem Bildungsweg seiner Kinder und wegen anderer sich zuspitzender Gegensätze verlieβ die Familie Grätzel im Spätsommer, verständlicherweise in einer Nacht- und Nebelaktion, Mahlis. Eine von der Nationalen Front einberufene Einwohnerversammlung gab natürlich eine einstimmige Erklärung zu diesem Geschehen ab, wovon auch die LVZ am 11. Oktober informierte. Allein dieser Artikel spricht Bände! Dieser Weggang hinterlieβ jedoch bei der Familie als auch bei Gemeindegliedern schmerzliche Spuren!

 

Am 11. Dezember wurde Johannes Lüke in der Mahliser Kirche ordiniert und übernahm so das Pfarramt. Er selbst beschrieb als Ziel seines Wirkens beim inneren Aufhau der Gemeinde Menschen in ein persönliches Verhältnis zu Jesus Christus zu führen… Mehrere Evangelisationen mit überdurchschnittlichen Besuchszahlen riefen zur Seelsorge und zu einem persönlichen Glaubensleben”. Die unter den Bedingungen eines sich allmächtig gebärdenden atheistischen (selbst bis in ein so kleines Dorf hinein!) Staates angestrebte und kraftfordernde Arbeit mit Kindern und Jugendlichen war natürlich nicht einfach, denn inzwischen betrug die Teilnahme an der Jugendweihe fast 100 %! Bekümmert hat mich auch, daβ ich es noch erleben muβte, daβ einstige Konfirmanden aus der Kirche austraten. Um so dankbarer gedenke ich derer, die ihren Weg bewuβt mit Jesus gehen”! Nach dreizehnjährigem Wirken konnte Pfarrer Lüke Anfang 1974 froh auf die erfolgte Erneuerung des Kirchendaches und des Kirchturmes im Spätherbst 1969, ebenso auf die Innenrenovation einschlieβlich der Altarrestaurierung und weitere, nicht so spektakuläre Bauerfolge zurückblicken. Aber eigentlich mindestens kleine Wunder unter den herrschenden Verhältnissen! Ihm folgte ab Juli 1974 Uwe Schreiber, der die schwierig gewordene Gemeindesituation mit neuen Ideen zu beleben versuchte. Dabei stieβ er teilweise bei den Traditionsgewöhnten auf wenig Gegenliebe.

   Jubelkonfirmation mit Pfarrer Grätzel 1956 ein Beispiel aus der langen Reihe seitdem
Jubelkonfirmation mit Pfarrer Grätzel 1956 ein Beispiel aus der langen Reihe seitdem

   Das Ende des Ordinationsgottesdienstes von Pfarrer Ellinger am 31. August 1986 mit Superintendent Dr. Kupke
Das Ende des Ordinationsgottesdienstes von Pfarrer Ellinger am 31. August 1986 mit Superintendent Dr. Kupke

Viele Impulse wirken nach, damals Ungewohntes ist inzwischen selbstverständlich geworden: Christen engagieren sich auch politisch aktiv für den Frieden (er schrieb z.B. diesbezüglich an die Chefs der Supermächte)! Und die Friedhofsgestaltung kann nicht jeder eigenmächtig festlegen und möglichst alle Arbeit unentgeltlich beanspruchen. Eine moderne Form, die niemand mehr missen möchte, damals aber gar nicht so einfach zu installieren war und der wortwörtlichen Druckgenehmigung beim Rat des Kreises bedurfte, ist die Herausgabe der Kirchennachrichtenblätter für jeden Haushalt. Trotz mancher unerquicklicher Begebenheiten ist seine menschlich ehrliche Art im Gedächtnis geblieben, die nicht nur vom Repräsentieren als Amtsperson lebte.

 

So ist sein zurückhaltendes Resümee am Ende seiner hiesigen Dienstzeit im September 1981 entsprechend aussagekräftig: Am Ende bleibt die Hoffnung, daβ es keine Dunkelheit gibt, wo nicht doch ein Lichtstrahl hindringt, keine Öde, wo nicht doch eine Blume wächst”.

Nach knapp fünfjähriger Vakanz mit einer kurzen Episode (Vikarin Gabriele Seidel) wurde ich Ende August als Pfarrer (der 34. seit der Reformation) für Mahlis mit Liptitz und zugleich für Collm und Lampersdorf eingeführt. Die vorher hier verbrachte Vikarszeit diente dem Einleben, dem Herstellen der Bewohnbarkeit” des Pfarrhauses und dem Knüpfen erster Kontakte an die weitgehend in ihren Erwartungen und Möglichkeiten bescheiden gewordene Gemeinde. Um die Situation zu verdeutlichen (wie schnell wird nämlich vergessen!): Zehn Christenlehrekinder gab es, die natürlich erst nach der sozialistischen Ganztagserziehung zum Pfarrer gehen durften. Auch wurde ich von einem politisch Verantwortlichen gefragt, ob nicht zum 1. Mai und an ähnlichen Staatsfeiertagen das Pfarrhaus geflaggt würde. Ein Protokoll vom ersten Gespräch mit dem Bürgermeister unter Beisein des Verantwortlichen für Kirchenfragen beim Rat des Kreises zu gesellschaftlichen Positionen fand sich später natürlich auch. Die dringend notwendige, wenigstens halbseitige Dachsanierung des Pfarrhauses konnte nach nur” 10jähriger Beantragungsfrist im Sommer 1989 in Angriff genommen werden.

 

Dass endlich klar ist, wer die Straβe kehrt, erwies sich für einige als ausreichend beim Bezug des Pfarrhauses, manche staunten, wieviel Jugendgruppen im Pfarrhaus campierten. Ein Rockkonzert mit griffigen Texten im Herbst 1988 in der Mahliser Kirche beim ersten Besuch unserer holländischen Partnergemeinde lieβ aufhorchen. Einige kritische und offene Mahliser fanden im Pfarrhaus Ansprechpartner für ihre Fragen und vertiefende Sichtweisen auf das Leben

Weiterhin konnte das durch Herrn Naumann über Wasser gehaltene kirchenmusikalische Leben mit neuem Schwung versehen werden. Ende letzten Jahres feierte der Kirchenchor sein 50jähriges Chorjubiläum mit einer prächtigen Festwoche. Und es besteht berechtigte Hoffnung, dass – bei entsprechender Pflege und Würdigung des Singens und Klingens – noch kein Ende bevorsteht.

 

Zur Zeit ist die Mahliser Kirchgemeinde mit ca. 35% der Einwohner, die sich offiziell und damit auch verantwortlich zur Kirche bekennen, mit Abstand noch immer gröβte organisierte Gruppe des Ortes. Eine Massenaustrittswelle gab es seit der Wende nicht (manche bereinigten ihren bereits vorhandenen Abstand nur notariell!). Ebensowenig hat sich schlagartig das Gesicht der Veranstaltungen geändert, was ich übrigens für eine gesunde, also nicht nur oberflächliche Reaktion halte. Und als sich abzeichnete, dass man weder berufliche noch finanzielle Vorteile herausschlägt, erlahmte bei manchen der durch die Wendeereignisse gerade in den Leipziger Kirchen hervorgerufene Enthusiasmus. Trotzdem vermutlich nicht zum eigenen oder allgemeinen Vorteil, wenn man die Stimmungslage als Indikator benutzt!

 

Spürbar ist eine neue Offenheit des ehrlichen Fragens und Suchens bei jung und alt geworden, das natürlich mit leisen Tönen funktioniert. Andererseits werden auf Vertreter der Kirche, selbst bis zu den Kirchenvorstehern, verständliche, aber anders ausgelöste Frustrationen, abgeladen. Zwar sind auch noch manche alte Grenzen in den Köpfen vorhanden, leben fast unausrottbare Klischees, doch verblassen Gott sei Dank” verhängnisvolle Feindbilder weitgehend, so dass eine vorurteilsfreiere Zusammenarbeit mit vielen anderen Engagierten im Ort möglich geworden ist. Ein freundschaftliches Beisammensein mit den Katholiken des Ortes ist natürlich auch selbstverständlich geworden!

Zwar konnten baulich seit der Wende einige dringend notwendige Verbesserungen herbeigeführt werden, doch dies hängt nicht mit einem plötzlich einsetzenden Geldstrom zusammen, sondern danken wir hauptsächlich einigen aufopferungsvollen Spendern, genehmigten ABM-Maβnahmen sowie nicht zu vergessenden vielfältigen Eigenleistungen! Und als groβes Projekt steht die Kirchenrenovierung an, wofür bereits gespart wird!

Die Krippenspieler vom letzten Weihnachtsfest
Die Krippenspieler vom letzten Weihnachtsfest

   Die zirka 200 Jahre alte Taufe in der Mahliser Kirche. Sie ist dringend restaurierungsbedürftig, damit sie dann wieder in Gebrauch genommen werden kann.
Die zirka 200 Jahre alte Taufe in der Mahliser Kirche. Sie ist dringend restaurierungsbedürftig, damit sie dann wieder in Gebrauch genommen werden kann.

Resümee


Viele tiefgreifende Veränderungen haben sich abgespielt, nicht einmal in der Kirche ist alles geblieben wie es war (durchaus noch mehr nachweisbar). Erstaunlicherweise wird jedoch gerade dies von vielen erwartet, wenn auch manche historische Kontinuität beachtlich dasteht. Wäre die Auβenfassade der Kirche glänzend renoviert, hätte sich für viele dieser ganze Problemkreis geschlossen.

Doch weitere Umbrüche sind in Sicht: Die jetzige Form der Kirchgemeinde wird sich bald offiziell verändern in Richtung einer Verbindung mit weiteren Dörfern. Schlieβlich sind die Leute wenigstens physisch mobiler geworden. Ob ein Pfarrer in Mahlis bleiben oder ein anderes Pfarrhaus leer wird, ist ungeklärt, erinnert sei nur an Mügeln! Dies hängt teilweise mit den völlig veränderten Erwartungen und Bedürfnissen der Menschen zusammen. Die gesellschaftliche und individuelle Zeiteinteilung sieht ebenfalls ganz anderes aus. Bis vor kurzem unvorstellbare Kommunikations-, Bildungs- und Informations- und Freizeitmöglichkeiten bestimmen uns. Davor den Blick zu verschlieβen wäre töricht, das fehlende” Geld ist nur ein sichtbarer Aspekt für zusatzliche Orlentierungen. Trotzdem ist mir Im Blick auf die Zukunft nicht bange, ohne Zweckoptimismus zu beschwören oder als Prophet auftreten zu wollen. Wenn in Mahlis manches wachsen darf, was an Vertrauen und Zuversicht investiert wurde, gibt es bestimmt noch manche erquickende Erlebnisse.

Was bisher keine Erwähnung fand, aber ausschlaggebend war, wird sich auch weiterhin als unerlässlich erweisen: Die vielen dem christlichen Glauben verpflichteten Helfer und Kirchenvorsteher. Davon schrieben und zehrten alle meine Vorgänger, denn keiner hatte den Ein-Mann-Betrieb”. Was in welcher Form und wie oft zelebriert wird, bleibt zukünftigen Generationen überlassen, wenn sie nur begreifen oder sich eingestehen: es gilt das Leben in der ganzen Tiefe und Breite dankbar und mit anderen vor Gott zu feiern, wobei die Religionen und in meiner Sicht der christliche Glaube eine unverzichtbare Substanz und Ausdrucksmöglichkeit darstellen. Der Reichtum an Gestaltungen in alten und modernen Weisen ist ja unerschöpflich, möge jeder Mahliser seine Variante finden und ausleben. Es wird auch diesbezüglich an den Mahlisern liegen, was sie als wichtig ansehen und wofür Zeit genutzt wird, ob sie sich selbst ehrlich einbringen und sich bei allem Risiko etwas zutrauen. Dann findet die Seele schon Nahrung und kann gedeihen (verkauft wurde dagegen doch schon genug!).

 

Über Für oder gegen” entscheiden die Mahliser schlieβlich selbst, niemand anderes! Wie schön die Gottesdienste sind und mit welcher Akzeptanz vielfältige Bemühungen belohnt und besucht werden, bleibt allein den hier Wohnenden überlassen, kann von niemand anderes erwartet werden! Es wäre schade, wenn als Zeichen von Kirche nur noch das Mahliser Siegel bzw. der entsprechende Stempel, erstaunlicherweise gleich nach der Wende mit diesem Motiv entstanden, lebendig bliebe.
Gerade mit allen bis kurz vor die Jahrtausendwende gewonnen Erfahrungen bleibt keine bessere Aufgabe als das Plädoyer für und das Einstimmen in die exzellente Lebensqualität (vgl. das Evangelium nach Lukas 10,27) Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst!”


Beitrag: Pfarrer Matthias Ellinger in der Osterzeit 1998

Mahlis in der Steinzeit

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Zeugen der Bronzezeit

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Die Zeit der Slawen

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Ersterwähnung

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Siedlungsgeschichte

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Die Parochie Mahlis

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